Charlie Stein: Portrait of a Future – Ausstellungstext von Peggy Schoenegge

PORTRAIT OF A FUTURE

Die Künstlerin Charlie Stein präsentiert von der Kuratorin Peggy Schoenegge

Die Malereien und Zeichnungen von Charlie Stein zeigen weibliche Roboter, die den Menschen auf den ersten Blick sehr ähnlichsehen und doch unnatürlich wirken. Die Künstlerin vermenschlicht die ursprünglich maschinelle Gestalt, indem sie einzelne Teile aus verschiedenen Selfies ihres Instagram-Feeds zu einem neuen Bild zusammensetzt. Die Porträts folgen der typischen Darstellung inszenierter Selbstbilder im Internet. Stein zeigt die Figuren meist leicht nach oben schauend. Ihre unnatürlich großen Augen entsprechen der Veränderung, die Gesichtsfilter auf sozialen Medien propagieren.

Die Künstlerin befasst sich mit der Bedeutung von Robotern und der Darstellung von Weiblichkeit im digitalen Zeitalter. Die Roboter, die der Künstlerin als Vorlage dienen, sind teils realen, teils imaginären Ursprungs. Die Arbeit Unimate in Paris (2020) bezieht sich auf einen Industrieroboter, der 1961 von der Firma Ford in Betrieb genommen wurde. In Form eines einzelnen Arms bearbeitete und schweißte er Bauteile für Karosserien. Stein fügt dem Arm einen weiblichen Körper hinzu. Die junge Frau im braunen Mantel hält eine Zigarette und schaut teilnahmslos an den Betrachter*innen vorbei. Die Künstlerin konterkariert mit dieser nun femininen Identität die ursprünglich männlich konnotierte Funktion der Maschine. Für die Arbeit Awakening Health (Grace & Grace) (2020) betrachtet Stein den Pflegeroboter Grace, der zur Betreuung älterer Menschen eingesetzt wird. In der Arbeit als junge, blonde und zierliche Frauen dargestellt, umarmen sich Grace und Grace und geben sich Halt. Die zutiefst menschliche Geste wirft die Frage auf, inwieweit das Konzept der fürsorglichen Pflege – ebenfalls ein Stereotyp, der mit Weiblichkeit verbunden wird – überhaupt für Roboter relevant ist. In der Annahme, dass Frauen vertrauenswürdiger und untergebener erscheinen, sind sie eine bevorzugte Form für Maschinen, die dem Menschen dienen sollen. Sie spiegeln dabei den geschlechtsspezifischen Stereotyp der jungen, attraktiven und gehorsamen Frau wider. In ihren Arbeiten reflektiert Charlie Stein diesen Typus und reißt ihn aus seiner Leibeigenschaft heraus. Sie rückt sie in den Fokus ihrer Portraits und gibt ihnen Autonomie.

Der Ausstellungstitel PORTRAIT OF A FUTURE ist der Werkserie Portrait Of A Future Self (2019-2021) entlehnt. Die Frauenroboter befreien sich aus dem Zwang ihres Zwecks und stellen sowohl die Geschlechterklischees als auch die Mensch-Maschine-Beziehung auf den Kopf. In Hinblick auf die zunehmende Bedeutung von Robotertechnologien in unserem Alltag stellen sich Fragen zu ihrer gesellschaftlichen Funktion. Roboter sind menschliche Produkte und deshalb auch von unseren Normen und Werten geprägt. Charlie Steins Arbeiten eröffnen die Möglichkeit zur Reflektion. Wollen wir in Zukunft stereotype Rollenbilder in den Maschinen, die wir erschaffen, wiederholen? Oder wollen wir Veränderungen für ein offeneres, diverseres und faireres Dasein entwickeln, um unsere Zukunft zu prägen.

Über die Künstlerin Charlie Stein und die Kuratorin Peggy Schoenegge

Die Künstlerin Charlie Stein und Kuratorin Peggy Schoenegge trafen sich im SALOON Berlin, einem internationalen Netzwerk für Frauen, die in der Kunstbranche arbeiten. Bei einem Studio-Visit der Künstlerin lernte die Kuratorin das Werk der Künstlerin genauer kennen. Charlie Steins Arbeiten locken mit einer Ästhetik, die an die Selfie-Kultur sozialer Medien erinnert. Auf den zweiten Blick eröffnet sich der konzeptuelle Rahmen der Arbeiten. Brechungen und Unstimmigkeiten verweisen auf unseren technologisierten Alltag und die darin eingeschriebenen weiblichen Rollenbilder. Sie knüpft damit an die kuratorische Arbeit von Peggy Schoenegge an, die sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung unter feministischen Gesichtspunkten beschäftigt. Für sie ist es zudem von Interesse, wie Künstler*innen die Bedeutung von Technologien in klassischen Medien wie Malerei reflektieren.

Charlie Stein beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit den unterschiedlichen Wahrnehmungen kultureller Identität im Kontext einer hoch digitalisierten, visuell übersättigten Welt. Ihr Material gewinnt sie aus der Recherche, das sie in Zeichnungen, Installationen, Objekte, Malerei und Text überträgt. Digitale Medien, Soziale Netzwerke und moderne Formen der Kommunikation sind zentrale Aspekte ihrer Arbeit, die sie immer wieder neu verhandelt. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit zeitgenössischen kulturell-informierten Ästhetiken und hinterfragt bestehende Wahrnehmungsmodi. Nach dem Studium der freien Malerei und Grafik bei Gerhard Merz hat Stein bei Christian Jankowski Bildhauerei studiert und 2017 als Meisterschülerin abgeschlossen. 2015 war sie für das Schmidt-Rottluff Stipendium nominiert, ist ehemalige Stipendiatin des DAAD und der BW-Stiftung. 2019 erhielt Stein den Kunstpreis der Stadt Limburg. Sie war mit ihrer Arbeit bei der Manifesta11 in Zürich, Blackball Projects in New York, im Songjiang Art Museum in Shanghai und während der Istanbul Bienniale 2017 verteten. Charlie Stein lebt und arbeitet in Berlin.

Peggy Schoenegge ist freie Kuratorin, Autorin und Projektmanagerin der Ausstellungsplattform peer to space sowie Vorstandsvorsitzende des medienkunstvereins. Sie hat einen B.A. und M.A. in Kunstgeschichte von der Humboldt-Universität Berlin und der Technischen Universität Berlin und verbrachte ein Jahr an der Ritsumeikan Universität in Kyoto (JP). Ihre Arbeit befasst sich mit den Bedingungen und Herausforderungen der Digitalisierung und dessen Auswirkungen auf unser alltägliches Leben, unsere Gesellschaft und Kultur. Im Besonderen befasst sie sich mit Gender, Performance und künstliche Intelligenz, indem sie digitale Kunst, Internetkunst und Kunst mit neuen Medien wie VR oder AR in realen und virtuellen Ausstellungsräumen zeigt. Sie hält international Vorträge auf Konferenzen und Veranstaltungen wie dem VRHAM! Virtual Reality & Arts Festival, WISE Conference oder für das Goethe-Institut. Aktuell unterrichtet sie an der Hochschule Darmstadt im internationalen Studiengang der Expanded Reality.

In der neuen virtuellen Galerie PRISKA PASQUER haben Besucher*innen die Möglichkeit, Ausstellungen zu besichtigen und an Veranstaltungen wie Artist Talks teilzunehmen. Der virtuelle Raum ist nicht nur Ort des Austauschs, sondern auch für neue kuratorische Formate. Den Auftakt bildet die Ausstellungsreihe ONE TO ONE in Zusammenarbeit mit der kuratorischen Plattform peer to space. Jeweils eine Kuatorin des Labels arbeitet zusammen mit einer Künstlerin an einer Einzelausstellung, die sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Lebenswelt beschäftigt. Nach Light Shines Through The Curtains Of Time von Kuratorin Tina Sauerländer und Künstlerin Ornella Fieres präsentiert nun Peggy Schoenegge die Arbeiten der Künstlerin Charlie Stein in der zweiten Ausstellung PORTRAIT OF A FUTURE.